Quadratisch, praktisch, schön ?

GartenStücke 2009 auf dem Ernst-Abbe-Platz

Die Moderne hat viele Gesichter - auch und gerade in Jena. Dazu gehören die Häuser der Bauhaus-Architekten, die Wagenfeld-Klassiker des Glaswerks und die avantgardistische Vorkriegsgeschichte des Jenaer Kunstvereins. Die Moderne in Jena - das ist aber auch die Geschichte der Industrialisierung. Mit der engen Verzahnung von Wissenschaft und Technologie verwandelte Carl Zeiss Jena die Stadt vom beschaulichen Hort der Geisteswissenschaft zum bedeutenden Industrie- und Forschungsstandort. Und schließlich verkörpern auch die Hochhaussiedlungen von Jena-Lobeda die Tradition der Moderne - oder zumindest das, was von dem umfassenden reformerischen Anspruch der Bauhaus-Theoretiker die praktische, von vielfachen ökonomischen und politischen Zwängen geprägte Umsetzung überlebte.

Die Ambivalenz der Moderne prägt bis heute unser Verhältnis zu ihr. Die Rationalisierung der Lebens- und Arbeitswelt brachte neue Probleme und soziale Verwerfungen mit sich. Die modernistische Ästhetik blieb elitär. Sie wurde und wird bis heute nicht von der breiten Masse geteilt, die sich nach Wärme und Gemütlichkeit sehnt. Die vom Bauhaus postulierte Einheit von Kunst und Handwerk fand nicht statt, und die Kunst der Moderne entzieht sich bis heute dem Mehrheitsverständnis.

Wie kein anderer Ort in Jena verkörpert der Ernst-Abbe-Platz das schwierige Erbe der Moderne. Als Mittelpunkt des Zeisswerks war er das Zentrum der Industrialisierung in Jena. Seine modernistische Industriearchitektur folgte dem Zeitgeist; das erste Stahlbeton-Hochhaus Deutschlands läste einen heftigen städtebaulichen Konflikt aus. Nach der Schließung des Zeisswerks in den Neunziger Jahren wurde der Platz mit viel Zukunftsglaube umgestaltet. Der einst hermetisch abgeschlossene Fabrikhof sollte mit belebter Mensa, Universitätszweckbauten und Straßenbahnanschluss in das Zentrum des Stadtlebens rücken. Doch da ist er nie angekommen. Dass der Platz außerhalb der Vorlesungszeiten stärker an einen Innenhof nach Fabrikschluss erinnert als an einen vitalen innerstädtischen Ort, dürfte eine ungewollte Reminiszenz an seine Vergangenheit sein. An den Großskulpturen von Frank Stella entzündete sich eine erbitterte Debatte; man forderte Bäume statt Betonpflaster. Somit ist der postindustrielle Ernst-Abbe-Platz auch ein Ort der Auseinandersetzung mit der Moderne.

Das Projekt "GartenStücke" ist seit 2004 auf der Suche nach vernachlässigten oder im Umbruch befindlichen städtischen Flächen. Mit den GartenStücken 2009 wollen wir dazu einladen, nach den verborgenen Spuren des Ernst-Abbe-Platzes zu suchen, seine Nischen hervorzuheben, das Vorgegebene aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Wir wollen die Facetten dieses Platzes ausloten, die sich aus Geschichte und Gegenwart, Architektur und Städtebau ergeben.

Während der dreitägigen Aktion werden keine fertigen Konzepte zur Vitalisierung des Platzes vorgestellt. Stattdessen sollen Bürger und Kommunalpolitiker für die schwierige Fläche in der Mitte ihrer Stadt sensibilisiert werden. Für uns bedeutet das zugleich eine Einladung zum Nachdenken darüber, unter welchen Bedingungen lebendige Urbanität im Städtebau der Moderne entstehen kann. "Das Endziel aller bildnerischen Tätigkeit ist der Bau", verkündete ?Walter Gropius 1919 in einem Manifest zum Bauhaus. Mit den GartenStücken 2009 wollen wir Gropius beim Wort nehmen ? in der Hoffnung, Potenziale zur Aufwertung dieses Stücks Stadtraum aufzuzeigen.

Die GartenStücke entstehen aus der Phantasie und dem Engagement der Beteiligten. Alle Interessierten sind eingeladen, ein Stück Ernst-Abbe-Platz zu gestalten - egal, ob sie Handwerker, Schüler, Studierende, Künstler oder Arbeiter sind. Das Improvisierte, Funktionale soll im Vordergrund stehen - aber ebenso die Anregung, unsere Denkweise über die heutige Bedeutung der Bauhausidee, am Beispiel eines speziellen Ortes. Jedem (und jeder) steht eine quadratische Fläche von 5 x 5 Metern zur Verfügung. Entstehen sollen temporäre begehbare Objekte, die verschiedene Bauhausaspekte und - interpretationen aufgreifen und sie auf die Gegenwart projizieren. Zugleich sollen die Projekte die Auseinandersetzung mit dem Mobiliar des Ernst-Abbe-Platzes wie auch dessen baulicher Umrandung suchen. So erhalten die Besucher die Chance, im Innen- wie auch Außenraum der Projekte die Wahrnehmung des Umfelds neu zu überdenken, den Platz aus einer anderen Perspektive wahrzunehmen.

Gestaltung, Materialien (von Pflanzen, Holz, Papier und Stoff bis zu Beton, Stahl und Glasbausteinen) und Visualisierung liegen wie immer im Ermessen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Aus der Unterschiedlichkeit der Ideen entwickelt sich die Qualität der GartenStücke 2009. Es entstehen vielfältige Inseln, quadratisch, praktisch, schön?